Chileglüt
Gerade mal vier Prozent der Gesamtbevölkerung besucht regelmässig einen Gottestdienst in einer der Landeskirchen.
Es ist Dienstagmorgen, 08:48 Uhr. Die Glocken der St. Martinskirche beginnen zu läuten. Sie tun dies für die nächsten 11 Minuten. Wozu? Ich weiss es nicht. Sie verstummen für eine knappe Minute, nur um dann gleich wieder loszulegen. Dieses Mal, um anzukündigen, dass es nun 9 Uhr ist. An wen richtet sich die Ankündigung? Ich weiss es nicht.
So geht es den ganzen Tag. Nicht nur die Martinskirche, auch die Stadtkirche und die Pauluskirche beteiligen sich enthusiastisch am lautstarken Glockenspiel.
Ich bin durchaus vertraut mit der historischen Bedeutung von Kirchenglocken. Das Volk wurde zur Sonntagspredigt, zu Beerdigungen, zu Hochzeiten oder anderen kirchlichen Anlässen gerufen. Zudem wurde regelmässig die Zeit geläutet.
Im Kanton Solothurn gehören heute noch 17 % der Einwohner*innen der reformierten und 30 % der katholischen Kirche an. Laut Bundesamt für Statistik besuchen bei den Reformierten 6 % jede Woche den Gottesdienst, bei den Katholischen 11 %. Das sind in der Summe gerade mal 4 % der Gesamtbevölkerung. Die Zahl der Personen ohne Uhr, welche auf die Klänge der Kirchenglocken angewiesen sind, dürfte sogar noch deutlich tiefer sein.
Klar, diese Statistiken sagen nicht aus, wie viele Leute das Kirchengeläut schön finden und welcher Anteil sich darüber nervt. Aber sie sind ein Anhaltspunkt.
Sollte mit abnehmender Anzahl aktiver Gläubiger nicht auch das Geläut reduziert werden? Ich bin sicher, es liesse sich ein Modus finden, bei dem die Lärmbelastung reduziert würde, ohne dass die Freunde des Glockenklanges ganz darauf verzichten müssten. Nach der Sanierung der Schlosskirche in Niedergösgen hat sich der Kirchgemeinderat bereit erklärt, ab 22 bis 6 Uhr nur noch die volle Stunde schlagen zu lassen. Ein (sehr) kleiner Schritt zwar, aber ein Schritt in die richtige Richtung.
Im Gegenzug könnte man mit Bewilligungen für andere Ereignisse, wie zum Beispiel Open-Air-Konzerte, etwas grosszügiger verfahren. Daran erfreuen sich vermutlich mehr als 4% der Bevölkerung.
Dieser Text ist am 8. September 2023 in der NOZ als Blickwinkel Kolumne erschienen.