6,5 Stunden korrigieren, diskutieren und auch etwas poltern – die Debatte ums Budget 2020
„Um 22 Uhr sind wir draussen“, zeigte sich Laura am Donnerstag zuversichtlich, als das Oltner Parlament um 18:15 Uhr mit der Beratung des Budgets 2020 begann.
„Um 22 Uhr sind wir draussen“, zeigte sich Laura am Donnerstag zuversichtlich, als das Oltner Parlament um 18:15 Uhr mit der Beratung des Budgets 2020 begann. Schliesslich würde der Steuerfuss, traditionellerweise der grosse Streitpunkt, unverändert bleiben und somit kaum Anlass zur Diskussion geben. Schliesslich zeigten sich alle Parteien im Vorfeld mehr oder weniger einverstanden mit dem vom Stadtrat vorgelegten Budget.
Auch am Ende der Debatte waren die meisten noch mehr oder weniger einverstanden. Nur Lauras zeitliche Vorhersage erwies sich als etwas gar optimistisch. Mitternacht war bereits vorbei, als das Oltner Budget 2020 mit 34 Ja- zu 0 Gegenstimmen bei 3 Enthaltungen (SVP) verabschiedet wurde. Sechseinhalb Stunden Sitzung – zumindest in dieser Legislatur Rekord.
Nötige und unnötige Diskussionen
Der Grund: Eine ganzer Packen Änderungsanträge. Bereits die Finanzkommission hatte in ihrer Vorberatung sechs Stück formuliert, ebenso viele reichten Ratsmitglieder vor der Sitzung ein und noch mehr folgten spontan (bzw. spontan kommuniziert) in der Detailberatung. Dabei bewahrheitete sich wieder mal, was wir in den letzten zwei Jahren gelernt haben: nämlich, dass spontane Anträge selten eine Mehrheit finden.
Fraglos hätten viele Debatten kürzer ausfallen können. Mehr als einmal wurden Standpunkte einfach wiederholt oder Voten drifteten ins Grundsätzliche ab. Die verwirrliche Diskussion um den Rückbau bzw. die Zwischennutzung des Naturhistorischen Museums, die auf einen Kürzungsantrag betreffend Projektierungskredit fürs Kunstmuseum folgte, hätte mit einer sorgfältigeren Vorbereitung vermieden werden können. Dass es jedoch überhaupt erst zu so vielen Anträgen und Diskussionen kam, lag aber in erster Linie am Stadtrat – beziehungsweise in dessen doch etwas despektierlichen Vorgehensweise in einigen Geschäften dem Parlament gegenüber.
Wir hatten den Eindruck, der Stadtrat würde es richtiggehend darauf anlegen, der parlamentarischen Diskussion wo immer nur möglich auszuweichen. Da aber letztendlich das Parlament das Budget bewilligt, kamen so halt viele der nicht geführten Auseinandersetzungen einfach während der Budgetdebatte auf den Tisch.
Vom Stadtrat provozierte Notbremsen
Beispiel Nr. 1: neue Parkplätze beim Friedhof Meisenhard. Offensichtlich empfinden viele Nutzer*innen den Weg von den Parkplätzen unten bei der Strasse zum Friedhof als zu weit oder zu anstrengend und beantragen daher eine Ausnahmebewilligung, um mit dem Auto bis ins Friedhofsgelände hochzufahren. Mehrere hundert dieser Bewilligungen werden jedes Jahr ausgestellt. Nun taucht im Budget ein Betrag von 550'000 Franken zur Erstellung von 50 Parkplätzen direkt beim Friedhof auf. Bei der Vorbereitung der Budgetdebatte fiel dieser Posten verschiedenen Parlamentarier*innen auf: Braucht es wirklich 50 Plätze? Passt das in den Mobilitätsplan? Mehr Parkplätze führen doch zu Mehrverkehr. Müsste das nicht vors Parlament, das sind doch über 400'000 Franken? Alles Fragen, die sich in einer regulären Debatte zur Vorlage hätten besprechen lassen. Der Stadtrat hätte seine Überlegungen darlegen und so wesentlich mehr Kontrolle über das Thema behalten können. Mit dem gewählten Vorgehen fühlten sich nicht nur diejenigen, die inhaltlich mit dem Projekt ein Problem hatten, vor den Kopf gestossen, sondern ebenso diejenigen, die finden, der Stadtrat nimmt das Parlament nicht ernst. Erst recht, wenn der verantwortliche Stadtrat Thomas Marbet während der Debatte dann meint, halb so viele Parkplätze wären auch ok. Ja, was jetzt? Mit Gusto wurde der Kreditantrag daraufhin vom Parlament abgelehnt.
Beispiel Nr. 2: 2017 hatte die SVP eine Motion eingereicht, mit dem Ziel, die Sicherheit am Ländiweg zu verbessern. Das Parlament hatte die Motion für erheblich erklärt, da der Stadtrat in seiner Antwort angekündigt hatte, nicht primär auf Repression zu setzen, falls die Motion angenommen würde. Im Frühjahr 2019 präsentierte Marion Rauber das Konzept für die versuchsweise Einführung einer SIP-Truppe (Sicherheit, Intervention & Prävention) in Olten. Das Thema wurde in einer Parlamentsdebatte traktandiert, aber lediglich zur Kenntnisnahme, da sich das Ganze in der Budgetkompetenz des Stadtrates befinden würde. Gleichzeitig wurde in der stadträtlichen Botschaft darauf verwiesen, dass dieses Projekt als Erfüllung der Motion der SVP zu verstehen sei. Nur hatte die SVP a) eine Massnahme explizit für den Ländiweg gefordert und nicht eine für das ganze Stadtgebiet und b) wird eine Motion dadurch erfüllt, dass dem Parlament eine beschlussfähige Vorlage unterbreitet wird. Schon in der Debatte vor den Sommerferien führte das Traktandum zu grossen Diskussionen, sowohl in der Sache wie auch in der Form. Eine Diskussion, die vom Stadtpräsidenten schliesslich mit der Zusage beendet wurde, das Thema im Rahmen einer beschlussfähigen Vorlage im Herbst erneut zu traktandieren.
Der Herbst kam, die Vorlage jedoch nicht, dafür die ersten 150’000 Franken für das dreijährige SIP-Experiment. “Nein”, führte der Rechtskonsulent aus, “der Stadtrat ist nicht verpflichtet, eine Vorlage zu präsentieren”, da für Kredite im Budget die Grenze bei 600'000 Franken sei und nicht bei 400'000 Franken wie bei "normalen" Vorlagen. Aber eben, am Ende des Tages entscheidet das Parlament über das Budget und so wurde das SIP-Projekt, das inhaltlich bei vielen Parlamentarier*innen durchaus Sympathie genossen hatte, aus dem Budget gekippt. Ex und Hopp, dabei wäre es doch gar nicht so schwierig gewesen. Der Stadtrat hätte im Vorfeld mit der SVP Kontakt aufnehmen können, um abzuklären, ob sie mit der SIP-Lösung ihre Anliegen erfüllt sehen. Je nach Haltung der SVP hätte der Stadtrat dann das Projekt unterschiedlich präsentieren können. Vermutlich wäre das SIP-Pilotprojekt nun im Budget drin, vielleicht sogar mit Unterstützung der SVP.
Einmal mehr wäre besser als einmal zu wenig
So waren wir Gemeinderätinnen und -räte uns an diesem Abend zumindest in einer Sache einig: Grössere Geschäfte – vor allem wenn sie umstrittene oder emotionale Themen betreffen – sollte der Stadtrat zuerst separat dem Parlament vorlegen – und zwar auch dann, wenn der finanzielle Rahmen dies gesetzlich gesehen nicht zwingend erfordern würde.
“Wenn uns das Gesetz nicht zwingt, fragen wir euch nicht”, scheint der Stadtrat derzeit zu denken. Dieses Vorgehen sorgt nicht nur für Unmut und für Misstrauen des Parlaments dem Stadtrat gegenüber, sondern bringt auch das Risiko mit sich, dass, wie letzte Woche passiert, die Notbremse gezogen wird. In der Budgetdebatte nämlich können alle geplanten Ausgaben, egal wie gross oder klein, infrage gestellt und mit einfachem Mehr aus dem Budget gekippt werden.
Nicht aus Partei-, sondern aus guten Gründen
Um einen eher kleinen Posten, genauer um 0.016% des Gesamtbudgets, wie Denise vorrechnete, ging es beim Änderungsantrag von Florian Eberhard (junge SP). Dieser forderte, dass der Posten “Kultur Übrige” um 20’000 Franken zugunsten des Kulturvereins Coq d’Or erhöht werden sollte. Ein kleiner Betrag an und für sich, aber einer, der es in sich hat, und zwar aus zwei Gründen:
Erstens zeigt die Stadt damit ihre Anerkennung der Arbeit eines Non-profit-Vereins, der mit tausenden von Stunden Freiwilligenarbeit jedes Jahr weit über 100 Kulturveranstaltungen in Olten organisiert und somit zum Ruf von Olten als Kulturstadt beiträgt. Die 20'000 Franken sind ein wichtiger Beitrag ans Überleben des Kulturvereins Coq d'Or in der aktuellen Form.
Zweitens hatte der Stadtrat Anfang November ein entsprechendes Gesuch des Kulturvereins um Unterstützung und Abschluss einer Leistungsvereinbarung abgelehnt. Dies mit der Begründung, dass der Stadtrat es nicht als primäre Aufgabe der öffentlichen Hand erachte, den Betrieb des Coq d’Or mit Steuergeldern zu unterstützen. Es gäbe noch andere Lokale mit Kulturveranstaltungen, die dann plötzlich auch auf Ideen kämen. Dabei suggerierte der Stadtrat, dass es sich beim Coq d'Or um einen kommerziellen Barbetrieb mit Bühne im Stil der Vario Bar oder des Galicia handle. Abgesehen davon, dass diese Lokale – soweit wir wissen – gar keine Absichten haben, Förderanträge zu stellen, ist diese Ansicht komplett falsch. Die Vario Bar zum Beispiel vermietet lediglich ihren Veranstaltungsraum an externe Kulturveranstalter. Der Kulturverein Coq d'Or hingegen betreibt das Coq und organisiert die meisten Veranstaltungen selber.
In der Debatte führte dann vor allem die vom Stadtrat in die Welt gesetzte Fehlinformationen bezüglich des Coq zu negativen Voten. Glücklicherweise war eine Mehrheit der Parlamentarier*innen besser informiert darüber, was der Kulturverein Coq d'Or macht und bewilligte den Änderungsantrag.
Hebelwirkung und Vorwärtsmachen – der Stadtrat hat es in der Hand
Nichtsdestotrotz ist es nun am Stadtrat, den entsprechend erhöhten Budgetposten der vom Parlament gewünschten Verwendung zuzuführen und mit dem Kulturverein Coq d'Or Gespräche aufzunehmen. Ob der Stadtrat dies auch tut, liegt in seiner eigenen Kompetenz. Denn Erhöhungen von allgemeinen Budgetposten wie "Kultur Übrige" können nicht zweckgebunden erfolgen.
Dass wir von Olten jetzt! über den Entscheid des Parlamentes erfreut sind, ist klar. Dies jedoch nicht, weil wir selber in irgendeiner Form davon profitieren. Olten jetzt! führt weder Fraktionssitzungen oder sonstige "Parteiveranstaltungen" im Coq durch und nutzt in keiner Weise Dienstleistungen des Kulturvereins. Olten jetzt! ist vom Beitrag für's Coq deshalb angetan, weil er genau diese Art von Hebelwirkung erzeugt, die wir bei der "Kulturfinanzierung" der Stadt zentral finden. Mit verhältnismässig kleinen Beträgen wird das freiwillige Engagement in der Stadt gewürdigt und gefördert. So ist Olten in der Lage, auch mit kleinem finanziellem Einsatz ein grossartiges Kulturangebot zu ermöglichen. Was wesentlich zum positiven Lebensgefühl in unserer Stadt beiträgt.
Eine Debatte von sechseinhalb Stunden – sie hätte gut etwas kürzer ausfallen können (wie vielleicht auch dieser Text hier) –, aber sie hat sich gelohnt. Zumindest aus unserer Sicht. Olten hat für das Jahr 2020 ein solides Budget, mit welchem die Stadt nach mehrjährigem Stillstand endlich wieder vorwärts gehen kann. Es liegt nun wiederum am Stadtrat, diesen Beschluss tatsächlich umzusetzen.