It ain't over 'till the fat lady sings
Gestern hat die FDP eine Stellungnahme zur Öffnungsplanung des Bundesrates veröffentlicht. Diese wird unterdessen auf Facebook fleissig geteilt. Darin wird munter gefordert, und gevorwurft, als ob die Pandemie vorbei wäre.
Gestern hat die FDP eine Stellungnahme zur Öffnungsplanung des Bundesrates veröffentlicht. Diese wird unterdessen auf Facebook fleissig geteilt. Darin wird munter gefordert, und gevorwurft, als ob die Pandemie vorbei wäre.
Ich habe die Vermutung, dass viele Leute glauben, wir hätten durch den Lockdown etwas Nachhaltiges erreicht in Bezug auf die Corona-Epidemie. Das ist nicht so. Wir haben lediglich den exponentiellen Anstieg der Neuinfektionen gestoppt. Wir haben eine Art Not-Damm errichtet. Die Sturmflut ist aber noch da! Nun zeigt sich, dass der Not-Damm etwas höher ist als notwendig, ihn aber einfach mal so kurz spitz abzureissen, weil er die Aussicht und den Verkehr behindert, ist keine Option.
Es ist erst etwa einen Monat her, seit der Bundesrat der Schweiz eine Vollbremsung verordnet hat und es so schaffte, den exponentiellen Anstieg der COVID-19-Fälle in der Schweiz zu brechen. Die Massnahme war so erfolgreich, dass zu keinem Zeitpunkt die Kapazität unseres Gesundheitswesens überlastet wurde: Alle Personen, die Pflege auf einer Intensivstation benötigten, haben diese erhalten.
Nur weil es weniger neue Fälle gibt, und die Spitäler nicht ausgelastet sind, ist die Corona-Epidemie nicht vorbei. Würde man jetzt alle Massnahmen zurücknehmen, würde der exponentielle Anstieg gleich wieder starten.
Leider ist nicht klar, welche Einschränkung welche Wirkung hat. Händewaschen? Social Distancing? Homeoffice? Coiffure geschlossen? Primarschulen zu? Keine Gruppen über 5 Personen? Gartencenter geschlossen? Restaurants zu? Fitnesscenter zu? Grossveranstaltungen abgesagt? Alles zusammen, das wissen wir nun, funktioniert, und zwar sogar besser als notwendig.
Da fast alle Länder voll auf die Bremse getreten sind, gibt es aus Erfahrungen der andern nur wenig zu lernen, respektive bei den wenigen Ländern, die keine Vollbremsung gemacht haben, konnte der exponentielle Anstieg der Infektionen bis jetzt nicht gebrochen werden (z.B. Schweden *).
Das heisst, nun geht der Bundesrat also daran, herauszufinden, welche Einschränkungen in der Schweiz aufgehoben werden können, ohne dass der exponentielle Anstieg der Erkrankungen wieder beginnt. Klar findet jede Person, deren Geschäft durch die Massnahmen beeinträchtigt wurde, dass sie bei der Wiedereröffnungen in jedem Fall zu den Ersten gehören muss.
In Bezug auf die zukünftige Entwicklung der COVID-19-Epidemie gibt es keine Planungssicherheit. Auch nicht, wenn man das fordert. Die Situation ist für alle Beteiligten Neuland. Täglich werden von den Wissenschaftler*innen neue Erkenntnisse publiziert und alte revidiert. Wir erleben aktuell Forschung in Real-Time. Wer behauptet, "es" zu wissen, hat höchstens zufällig recht. Und über richtig und falsch werden wir erst in ein paar Jahren entscheiden können, wenn die Forschungen publiziert sind und ein wissenschaftlicher Konsens darüber, was wir aktuell gerade erleben, erreicht ist.
Es ist zur Zeit noch nicht möglich, repräsentative Tests durchzuführen. Neuinfektionen treten in Clustern auf und nicht irgendwie hübsch gleichmässig verteilt übers Land. Serologische Tests (Antikörpertests) sind immer noch sehr unzuverlässig – daher ist es auch nicht möglich, herauszufinden, wieviele Leute schon immun sind. Und nicht nur das, sogar ob eine längerfristige Immunität gegen COVID-19 überhaupt möglich ist scheint noch nicht gesichert zu sein.
*) Update 19.4.2020 es scheint das sich die Anzahl täglicher Neuinfektionen in Schweden stabilisiert hat, und viele Leute einen freiwilligen "Lockdown" befolgen. Details hier.