Statistik-Framing: Wer verunfallt hier wen?
Während die Medienmitteilung der Solothurner Kantonspolizei Unfälle im Langsamverkehr betont, zeigen die tatsächlichen Zahlen, dass Autofahrende nach wie vor bei den meisten Unfällen die Hauptschuld trifft. Ein irreführendes Framing, das von der wahren Verantwortung ablenkt.

Vor mir auf dem Tisch liegt sie: die Medienmitteilung zur polizeilichen Verkehrsstatistik des Kantons Solothurn. Sie fokussiert auf die Zunahme von Unfällen beim Langsamverkehr – mit «Beteiligung» von Velos und E-Bikes, wie es heisst. Beteiligung – ein Wort, das harmlos klingt, aber eher an Verursachung als an Betroffenheit denken lässt. Als ein Unfall-Grund wird «Missachtung des Vortrittsrechts» erwähnt. Wer denkt da nicht zuerst an die freche Velofahrerin – statt an den Autofahrer, der beim Rechtsabbiegen den Schulterblick vergisst oder die Autotür unachtsam aufstösst?
Als Velofahrerin und Lektorin stutze ich. Ich grabe mich durch den Anhang der Verkehrsstatistik, wo die trockenen Zahlen wohnen. Und finde die Details, die in der Mitteilung fehlen: Während Autofahrende 81 Prozent der 1269 Unfälle mit Verletzten selbst verursachen, trifft Velo- und E-Bike-Fahrende nur in rund der Hälfte ihrer 168 Unfälle die Hauptschuld.
Der Fokus auf die Unfallzahlen beim Langsamverkehr lenkt vom zentralen Problem ab: Von der schieren Masse der Autounfälle und der Verantwortung beim motorisierten Verkehr. Dieses Framing nährt das Narrativ vom undisziplinierten Menschen auf dem Velo und lenkt so von der Diskussion darüber ab, wie wir den Strassenraum für alle sicherer machen.
Bestimmt leistet auch der Präventionsunterricht von Kindern und Jugendlichen «einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrssicherheit». Doch ist es nicht ebenso dringend, unermüdlich in die Sensibilisierung jener Verkehrsteilnehmenden zu investieren, von denen statistisch gesehen die grössere Gefahr ausgeht?
Entscheidend für die Wahrnehmung eines Problems ist das Framing. Von lösungsorientierter Kommunikation erwarte ich den Blick auf das Gesamtsystem, und dass sie sich konsequent an den Kernpunkten der Thematik orientiert. Wo die wirksamen Hebel für eine nachhaltige Verbesserung der Verkehrssicherheit liegen? Die Statistik zeigt es: im Verhalten der Starken und in einer Gestaltung unserer Strassen, die sich an den Möglichkeiten der schwächsten Verkehrsteilnehmenden orientiert.
Dieser Text ist am 17.04.2025 in der NOZ als Blickwinkel-Kolumne erschienen.