Unerwünschte Menschen aus dem öffentlichen Raum drängen – oder in den Worten des Stadtrats: „in der Innenstadt ‚Hausordnung‘ durchsetzen“
Im Mai bewilligte das Gemeindeparlament ein dreijähriges Pilotprojekt zum Aufbau einer SIP in Olten. Dies mit dem Ziel, das Zusammenleben der Menschen im öffentlichen Raum der Stadt zu verbessern.
Im Mai bewilligte das Gemeindeparlament ein dreijähriges Pilotprojekt zum Aufbau einer SIP in Olten. Dies mit dem Ziel, das Zusammenleben der Menschen im öffentlichen Raum der Stadt zu verbessern. Der Stadtrat entschied an seiner Sitzung vom 3. August 2020, nicht bis zum eigentlichen Start des SIP-Projektes zu warten, sondern zeitnah für Ordnung in der Stadt zu sorgen. Kurzerhand beauftragte er in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei Solothurn die private Sicherheitsfirma LU-Sicherheitsdienst AG, in den Monaten August bis Oktober an 15 Tagen pro Monat durch die Stadt zu patrouillieren und in der Innenstadt die ‚Hausordnung‘ der Stadt Olten durchzusetzen.
Das vom Stadtrat im Mai vorgelegte Pilotprojekt hatte gut klingende Ansätze. Von Dialog war da die Rede, von Beziehungsarbeit, von Beratung, Information, Vermittlung und Hilfestellung. Gefasst wurde dies unter dem Titel „Sozialarbeit im öffentlichen Raum der Stadt Olten“. Wer könnte da schon dagegen sein? Das Gemeindeparlament freute sich mehrheitlich auf die neue Kraft im öffentlichen Raum, die für ein besseres Miteinander unter den Menschen in der Stadt sorgen sollte.
Die Motion der SVP, die am Anfang stand
Wieso wurde überhaupt darüber diskutiert, in Olten eine SIP einzuführen? Der Weg zum Vorschlag war ein langer. Los ging das Ganze im April 2017 mit einer Motion der SVP, mit welcher ‚mehr Sicherheit am Ländiweg‘ erreicht werden sollte. Im Februar 2018 gab der Stadtrat dann eine Sozioanalyse in Auftrag, mit der geklärt werden sollte, wie die in der Motion der SVP geschilderte konfliktträchtige Situation in der Stadt Olten am besten verändert werden kann. Im Juni 2019 legte dann der Stadtrat als Vorschlag für die Umsetzung der Motion der SVP dem Gemeindeparlament ein erstes Mal die Idee einer SIP vor. Offensichtlich hatte sich der Stadtrat entschlossen, dem von der SVP ausgemachten Problem mit einem ganzheitlichen Ansatz zu begegnen.
Der Gewerbeverband sagt, was Sache ist
Ein erstes Mal etwas mulmig wurde einem jedoch, als der Stadtrat im Mai 2020 dem Budget-Antrag für das SIP-Projekt ans Parlament einen geharnischten Brief des Gewerbeverbandes beigelegt hat. Der Brief hat sodann auch in der Parlamentsdebatte heftig zu reden gegeben. Denn den meisten war klar: Es kann nicht sein, dass die Stadt im Auftrag des Gewerbes eine Soft-Polizei installiert, die unliebsame Menschen aus der Innenstadt vertreibt.
Im Schreiben des Gewerbeverbands wurden spezifische Gruppen der Gesellschaft als ‚Problem‘ definiert, welches nun bitte gerne von der Stadt gelöst werden soll. Konkret möchte man, dass diese Gruppen nicht mehr ‚stören‘. Denn ‚stören‘ tun sie offensichtlich schon schlicht mit ihrer Anwesenheit, selten, weil sie tatsächlich gesetzliche Grenzen überschreiten. Zwei Auszüge aus dem Schreiben zeigen auf, worum es dem Gewerbeverband geht:
„Die Unannehmlichkeiten durch die ‚Randständigen‘ stören das Gewerbe in Olten immer noch. Vielfach suchen die Randständigen die Wärme der Shops auf und sorgen auch dort für unangenehme Konfrontation. Das ist für das Image des sonst schon schwächelnden Innenstadt-Detailhandels eine starke Zusatzbelastung.“
„Es darf nicht sein, dass sich auf den öffentlichen und schönsten Plätzen der Stadt Randständige immer breiter machen und sich an keine Verhaltensregeln halten.“
Der Stadtrat will eine Lösung ohne Repression
Auf entsprechende Fragen aus dem Parlament zur Ausrichtung der Oltner SIP hat der Stadtrat jedoch in mehreren Voten klar Stellung bezogen:
Marion Rauber: „Der Stadtrat setzt aber jetzt mit dieser SIP-Vorlage ganz klar auf die Karte Dialog, Beziehungsarbeit und Interaktion und distanziert sich auch von repressiven Massnahmen, Wegweisungen und Rayonverboten, wie dies andere Städte handhaben. Alle in Olten lebenden Menschen sind für uns ein Teil des Ganzen und repräsentieren auch die Vielfalt und Buntheit unserer Kleinstadt.“
Thomas Marbet: „Es geht wirklich um aufsuchende Sozialarbeit.“
Iris Schelbert: „Wir haben immer gesagt, wir wollen nicht Leute durch die Stadt jagen, nur, weil wir denken, es gibt irgendwo ein schöneres Plätzchen, wo sie sitzen können, als am schönsten Ort in der Innenstadt, halt rund um die Stadtkirche. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass alle, und zwar gleichberechtigt, gleichbehandelt werden, die sich im öffentlichen Raum aufhalten.“
Der Begriff SIP ist durch die Umsetzung in anderen Städten belastet. Oft wird den Organisationen vorgeworfen, letztendlich lediglich ein verlängerter Arm der Polizei zu sein. AvenirSocial hat in ihrem Positionspapier ‚Haltung zu ordnungspolitischen Aufträgen in der Aufsuchenden sozialen Arbeit‘ klar dargestellt, welche Probleme entstehen, wenn ordnungspolitische Aufgaben und aufsuchende Sozialarbeit vermischt werden:
„Die Soziale Arbeit steht als Teil eines Systems in einer direkten Verbindung mit der gesellschaftlichen Sicherheit und Ordnung. Sie darf aber nicht die Aufgabe haben, diese im öffentlichen Raum durchzusetzen.“
und weiter
„Wir anerkennen die Notwendigkeit von Regeln und deren Durchsetzung im öffentlichen Raum. Die Abgabe dieser Aufgaben an zusätzliche Organe, die ausserhalb der Polizei angesiedelt sind, mag berechtigt sein. Doch dies sollte nicht unter dem „Deckmantel“ der Aufsuchenden Sozialen Arbeit geschehen. Die klare Abgrenzung dieser zwei Aufgaben ist wichtig, um das Berufsbild der Aufsuchenden Sozialen Arbeit nicht zu verfälschen und keine nicht erfüllbaren Anspruchshaltungen entstehen zu lassen. Die im Zentrum der Gassenarbeit stehende selbstbestimmte, freiwillige und somit niederschwellige Begegnung mit der Sozialen Arbeit ginge durch die Mitwirkung an ordnungspolitischen Aufgaben verloren.“
Aus der Diskussion in der Parlamentsdebatte gewannen wir den Eindruck, dass sich der Stadtrat der Problematik bewusst ist und nach einer neuen Lösung für Olten sucht. Nach der Parlamentsdebatte waren wir zuversichtlich, dass mit dem Pilotprojekt in Olten etwas Gutes im Entstehen ist.
Der Rückfall
Und nun also der Beschluss des Stadtrates, eine private Sicherheitsfirma anzustellen, um in Olten die Hausordnung durchzusetzen. Okay, das ist noch nicht die versprochene SIP, und in der Pressemitteilung des Stadtrates ist auch die Rede davon, dass es bei der Massnahme nicht um Repression geht. Ein mobiler Ordnungsdienst, der in den Dialog treten soll, wird da beschrieben. Aber auch, dass die Umsetzung in enger Koordination mit der Polizei Kanton Solothurn erfolgt. Da ist die Repression dann doch nicht mehr allzu weit weg.
Wahrscheinlich ist die Umsetzung mithilfe des privaten Sicherheitsdienstes eigentlich die konsequenteste Lösung für die von der SVP, dem Gewerbe und dem Stadtrat erkannten Probleme. Eine private Sicherheitsfirma wird meistens dann engagiert, wenn es etwas zu beschützen gibt. Im vorliegenden Fall die schönen Plätze der Stadt und den Detailhandel vor den ‚Randständigen‘.
Aufsuchende Sozialarbeit und Ordnungsdienst
Wir sind jedoch weiterhin überzeugt, dass aufsuchende Sozialarbeit eine wichtige und richtige Massnahme wäre, um den marginalisierten Menschen und Gruppen in der Stadt Olten eine Stimme zu geben. Soziale Arbeit hat dann auch die Aufgabe, zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen zu vermitteln, Verständnis zu schaffen und sich für ebendiese Menschen und Gruppen einzusetzen. Diese Aufgabe kann die aufsuchende Soziale Arbeit aber nur erfüllen, wenn sie – wie von AvenirSocial ausgeführt – keine ‚Hausordnung‘ durchsetzen muss und somit keine ordnungsdienstlichen Aufgaben übernimmt.
Hat der Stadtrat die Auffassung, dass die LU-Sicherheitsdienst AG ein adäquater Ersatz für die geplante SIP ist? Wenn ja, dann hat er die im Parlament geführte Debatte falsch verstanden. Die Mehrheit des Parlaments hat sich für mehr Dialog und mehr Verständnis ausgesprochen und nicht für mehr Repression.
In Anbetracht der Schwierigkeit, einen geeigneten Dienstleister für die SIP zu finden, wäre es wohl sinnvoller, das SIP-Projekt in zwei Teile aufzuteilen: eine aufsuchende Sozialarbeit und ein Ordnungsdienst. Das wäre erfolgversprechender vom Ansatz her und auch in der Umsetzung, denn für beide Aufgaben gibt es viele Anbieter auf dem Markt, die ihr Handwerk gut verstehen.
Foto: Alex Blăjan