Tempo 30 auf Hauptstrassen – Sessionsbericht Dezember 2024

Mit einer überraschend deutlichen Mehrheit stellt sich das Oltner Gemeindeparlament hinter die Forderung nach mehr Sicherheit und Lebensqualität: Der Volksauftrag für Tempo 30 auf Hauptstrassen wird gutgeheissen. Ein Entscheid, der die Stadt nachhaltig verändern könnte.

Tempo 30 auf Hauptstrassen – Sessionsbericht Dezember 2024
Velodemo 2024 auf der Ziegelfelstrasse

Willkommen zum Sessionsbericht von Olten jetzt. In der Dezembersitzung stand ein Volksauftrag zur Einführung von Tempo 30 auf Hauptstrassen im Zentrum der Debatte. Mit einer überraschend deutlichen Mehrheit von 23 zu 14 Stimmen wurde das Anliegen unterstützt. Daneben beschloss das Parlament die Vereinheitlichung der städtischen Verwaltungsberichte.

Volksauftrag für Tempo 30 auf Hauptstrassen

Olten hat bei der Velofreundlichkeit deutlichen Nachholbedarf. Die Verbesserung der Situation gestaltet sich jedoch komplex: Unsere Stadt wird durch die Aare und die zentrale Bahnlinie in zwei Teile getrennt. Diese natürliche und infrastrukturelle Teilung macht neue Verbindungen zwischen dem Ost- und Westteil der Stadt kostspielig.

Am 17. August 2024 organisierte die Bewegung «Olten im Wandel» eine Velodemo, um für Massnahmen zur Verbesserung der Situation für die Velofahrenden zu kämpfen. Bei der Schlussveranstaltung wurden Unterschriften für einen Volksauftrag gesammelt: Der Stadtrat soll beim Kanton für sämtliche Kantonsstrassen auf Oltner Gemeindegebiet Tempo 30 beantragen. Eine kostengünstige und einfache Massnahme, um den Strassenraum für alle sicherer zu machen.

Der Volksauftrag war für die Dezember-Session im Gemeindeparlament traktandiert. Zum Auftakt der parlamentarischen Diskussion legt Gabriela Allemann als Erstunterzeichnerin die Argumente der Initiant:innen dar.

Effekte von Tempo 30 auf Hauptstrassen

Die Wirkung von Tempo 30 innerorts ist wissenschaftlich eingehend untersucht und belegt. Der Kanton Luzern hat zu diesem Thema eine ausführliche Broschüre produziert. Hier die wichtigsten Punkte:

Deutliche Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität in Ortszentren: Verminderte Lärmbelastung, erhöhte Sicherheit für grosse und kleine Fussgänger:innen und Velofahrende sowie eine bessere Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum.

Signifikante Reduktion der Unfallgefahr: Der Bremsweg von Autos halbiert sich gegenüber Tempo 50, die Sterbewahrscheinlichkeit für Fussgänger:innen bei Kollisionen sinkt von 30 % auf deutlich unter 10 %.

Minimale Auswirkungen auf den Verkehrsfluss: Die Leistungsfähigkeit der Strassen bleibt weitgehend erhalten, die Reisezeitverlängerung beträgt sogar zu Stosszeiten nur 2–6 %.

Positive Effekte auf die Stadtentwicklung: Ermöglicht schmalere Strassen, mehr Grünflächen und eine attraktivere Gestaltung des Strassenraums, wovon auch lokales Gewerbe profitiert.

Verbesserung der Luftqualität durch flüssigeren Verkehr und Förderung des Langsamverkehrs, ohne nennenswerte Verlagerung in Quartierstrassen.

Effizientere Raumnutzung: Die Fahrbahnbreite kann bei Tempo 30 um bis zu 70 cm reduziert werden, wodurch zusätzlicher Raum für Fussgänger:innen, Velos und Begrünung entsteht.

Die Diskussion

Die progressiven Parteien SP/junge SP, Grüne/junge Grüne und Olten jetzt! sprechen sich in ihren Voten klar für Tempo 30 auf Hauptstrassen aus. Zu den oben aufgeführten Argumenten werden noch viele weitere genannt.

Von bürgerlicher Seite wird für eine Ablehnung des Anliegens geworben. Ein Grossteil der bürgerlichen Voten steht in klarem Widerspruch zum Stand der Erkenntnis in Sachen Tempo 30.

  • Die flächendeckende Einführung von Tempo 30 schiesst über das Ziel hinaus. Es reicht, einzelne neuralgische Punkte im Strassennetz durch eine gezielte Einführung von Tempo 30 zu entschärfen.
  • Rennvelofahrer:innen werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
  • Auswärtige Kund:innen werden vom Einkaufen in der Stadt abgehalten.
  • Eine generelle Einführung von Tempo 30 würde das bewährte hierarchische Strassensystem zunichtemachen.
    Widerlegt durch ASTRA-Studie: Die Netzhierarchie bleibt erhalten.
  • Ausweichverkehr würde in die Quartiere verdrängt.
    Widerlegt durch Luzerner Bericht und ASTRA-Studie: bei korrekter Umsetzung entsteht kein Ausweichverkehr.
  • Tempo 30 schafft ein falsches Sicherheitsgefühl und löst die Sicherheitsprobleme nicht.
    Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) spricht von Halbierung des Unfallrisikos.
  • Lokales Gewerbe würde unter längeren Fahrzeiten leiden.
    Review of City-Wide 30 km/h Speed Limit Benefits in Europe zeigt positive wirtschaftliche Auswirkungen.
  • Blaulichtorganisationen werden behindert.
    Luzerner Bericht zeigt nur geringe Auswirkungen, Blaulichtfahrzeuge dürfen zudem schneller fahren.
  • Der öffentliche Verkehr wird ausgebremst.
    Modellrechnungen aus dem Luzerner Bericht widerlegen diese Aussage.
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Velodemo 2024 auf der Unterführungsstrasse

Der Entscheid

Das Parlament entscheidet sich mit 23 zu 14 Stimmen für das Anliegen. Wobei die progressive Mehrheit durch 4 Stimmen aus der Fraktion GLP/EVP/Mitte verstärkt wird. Einzig Muriel Jeisy und Beat Felber folgen den Argumenten von SVP und FDP.

Was Olten jetzt! dazu sagt

Wir sind begeistert von dem Entscheid, denn Tempo 30 eröffnet für unsere Stadt eine wunderbare neue Strategie zur Verbesserung der Velofreundlichkeit. 

Ein Aspekt, der in der Diskussion nur am Rande Erwähnung fand, ist die Beziehung zwischen Fahrspurbreite und Höchstgeschwindigkeit: Eine Strasse muss bei Tempo 50 deutlich breiter sein als bei Tempo 30. Dies ergibt bei zweispurigen Strassen einen Platzgewinn von mindestens 70 cm, der für breitere Velospuren oder Trottoirs genutzt werden kann. Falls die Strasse ursprünglich für eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h ausgelegt worden war, ist der Gewinn sogar noch grösser. Ein Beispiel aus Köniz zeigt, dass dieser Ansatz in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden kann. Die dortige Umgestaltung der Schwarzenburgstrasse demonstriert eindrücklich, wie der gewonnene Raum genutzt werden kann.

Die Aare, die Bahn und die Hauptstrassen sind grosse Hindernisse für den Langsamverkehr in Olten. Hauptstrassen mit Tempo 30 verlieren ihre trennende Wirkung und lassen die Stadtteile näher zusammenrücken.

Es bleibt zu hoffen, dass der Kanton die Tempo-30-Gesuche aus Olten positiv beantwortet. Die klare Mehrheit im Gemeindeparlament und die fundierten technischen sowie städtebaulichen Argumente sollten dafür eine überzeugende Grundlage bieten.

Wie es weitergeht

Die Stadt wird für jeden einzelnen Kantonsstrassenabschnitt auf Oltner Gemeindegebiet beim Kanton ein begründetes Gesuch für eine Reduktion der Geschwindigkeit auf 30 km/h stellen. Der Kanton wird dann entscheiden, wo die Geschwindigkeitsreduktion bewilligt werden kann. 

Für den Oltner Wilerweg wurde ein solches Gesuch diesen Sommer bewilligt. Olten ist nicht die einzige Solothurner Gemeinde mit Tempo 30-Wünschen. Beim Solothurner Amt für Verkehr (AVT) sind schon Gesuche von vielen Gemeinden eingegangen und diese werden oft auch bewilligt.

Portokosten beim Versand von Abstimmungsunterlagen

Matthias Borner von der SVP kritisiert mittels einer Interpellation die Verwendung von A-Post beim Versand von Abstimmungsunterlagen. Bei der März-Abstimmung 2024 hat dies laut Angaben des Stadtrates Mehrkosten von 6700 Franken verursacht.

Die Diskussion

Matthias ist nicht zufrieden mit der Interpellationsantwort des Stadtrates. Der Stadtrat argumentiert mit engen Zeitfenstern und der Notwendigkeit einer sicheren, rechtzeitigen Zustellung zur Vermeidung von Beschwerden. 

Recherchen von mehreren Parlamentsmitgliedern zeigen, dass andere Gemeinden, darunter die vergleichbar grosse Stadt Solothurn, den Versand problemlos per B-Post bewältigen. Die vom Stadtrat angeführte Rücksprache mit Solothurn wird von dort sogar dementiert. 

Als Reaktion auf die Debatte kündigt der Stadtrat eine Prozessoptimierung und mögliche Umstellung auf B-Post ab 2025 an.

Was Olten jetzt! dazu sagt

Es ist unbestritten, dass bei den Versandkosten Optimierungspotential besteht. Dass sich 37 Personen während 30 Minuten mit einem Sparpotential von 6700 Franken beschäftigen, ist nicht sonderlich effizient. Fragen wie die Porto-Geschichte liessen sich auch mit einer kleinen Anfrage ohne parlamentarische Diskussion klären.

Einheitlich strukturierte Verwaltungsberichte

Immer vor den Sommerferien diskutiert das Oltner Gemeindeparlament die Rechnung der Stadt. Neben den reinen Zahlen werden dem Parlament diverse Tätigkeitsberichte vorgelegt, in denen beschrieben wird, was im letzten Jahr mit dem vom Parlament bewilligten Geld gemacht wurde. 

Die Berichte sind sehr umfangreich und inhaltlich vielfältig. Zudem unterscheidet sich die Struktur je nach Direktion.  Schon mehrfach wurde in der parlamentarischen Diskussion der Rechnung gefordert, dass diese Berichte in Zukunft einheitlich strukturiert und gestaltet daherkommen sollen, um die Lesbarkeit zu erhöhen und einen Vergleich zwischen den Verwaltungseinheiten zu ermöglichen.

Die Finanzkommission des Parlaments (FiKo) ist nun zur Tat geschritten und hat einen entsprechenden Auftrag verfasst, indem der Stadtrat aufgefordert wird, eine «Vereinheitlichung der Struktur der Berichterstattung für alle Verwaltungseinheiten zu prüfen und nach Möglichkeit umzusetzen».

Die Diskussion

Alle sind dafür, dass die Struktur der Verwaltungsberichte vereinheitlicht wird. Für leichte Unstimmigkeiten sorgt einzig die wiederholte Erwähnung der Wirkungsorientierten Verwaltungsführung (WoV). Es stimmt zwar, das das Berichtswesen im Rahmen der WoV sehr wichtig und klar strukturiert ist, aber solche Berichte sind nur möglich, wenn das gesamte System der Verwaltungsführung entsprechend umgebaut wird.Jann Frey von den Grünen meinte dazu: «Auch wenn in der Begründung des Antrags Beispiele aus der wirkungsorientierten Verwaltung erwähnt werden, ist der Antrag keine WoV im Schafspelz. Es geht uns wirklich vor allem darum, dass der Stadtrat die Struktur des Verwaltungsberichts überdenkt und den berichtenden Stellen klare Vorgaben für den Bericht macht.»

Der Entscheid

Der Auftrag der FiKo wird mit 36:0 bei einer Enthaltung für erheblich erklärt.

Was Olten jetzt! dazu sagt

Wir freuen uns auf die zukünftig einheitlich gestalteten Berichte. Das Thema «WoV» werden wir weiter verfolgen. Das Parlament hat zwar 2014 und 2022 entsprechende Vorstösse abgelehnt, aber vieles deutet darauf hin, dass es bei einem dritten Versuch klappen könnte. So könnte sich das Parlament stärker in der strategischen Führung der Stadt engagieren und die grossen Linien der Entwicklung im Auge behalten. 

Wir haben in dieser Sitzung drei parlamentarische Vorstösse bearbeitet. Während der Sitzung wurden sieben neue eingereicht. Der Parlamentspräsident hat für Januar und März Doppelsitzungen angekündigt, um den Vorstossberg abzubauen.