Zwischenbilanz – zwei Jahre nach den Wahlen
Am letzten Dienstag hat uns Fabian Muster vom OT um tausend Zeichen zum Thema «Zwischenbilanz nach der ersten Hälfte der Legislatur» gebeten. Die tausend Zeichen gabs am Samstag im OT zu lesen. Hier das Making-of dieses «kleinen» Textes für die Presse.
Tausend Zeichen (inklusive Leerzeichen!) sind «cheibe» wenig, um das, was in den letzten zwei Jahren abging, festzuhalten. Wir haben uns daher entschlossen, hier die Geschichte etwas ausführlicher zu dokumentieren.
Unsere erste Textversion war viel zu lang. Aber wie Stephen King sagt: «Kill your darlings, kill your darlings, even when it breaks your egocentric little scribbler’s heart, kill your darlings.» Also, haben wir gekürzt.
Weg mit der Beschreibung unserer Freude nach den Wahlen, darüber, dass wir nun die drittstärkste Partei in Olten sind! Weg mit der Beobachtung, dass unsere Fraktion sowohl einen substantiellen Anteil von Frauen (zwei Drittel) als auch People of Color (ein Drittel) hat! Zusammen sind wir stark, auch beim Kürzen des viel zu langen Textes. Also weg mit der ganzen Selbstbeweihräucherung! Fokus auf das, was uns beschäftigt hat!
Wie wir mit viel Lust über Themen debattieren, zu denen wir nicht wirklich etwas zu sagen haben
Das erste Thema, das wir im OT-Text ansprechen wollten, sind die vielen parlamentarischen Aufträge. Oft geht es dabei um Themen, über die das Parlament gar nicht entscheiden kann.
Es ist trotzdem möglich, ganz offiziell über diese Themen zu diskutieren. Dann nämlich, wenn ein Parlamentsmitglied einen sogenannten Prüfauftrag einreicht. Mit dem Prüfauftrag wird der Stadtrat aufgefordert, ein bestimmtes Thema zu prüfen. Das Parlament kann darüber debattieren und abstimmen, ob es diesen Prüfauftrag erheblich erklären will.
Ob der Stadtrat aufgrund der Prüfung zur Handlung schreitet, liegt in seinem eigenen Ermessen. Er muss dem Parlament lediglich Bericht erstatten über die Resultate der Prüfung.
Die teilweise sehr engagierten Voten zu diesen Prüfaufträgen lassen uns manchmal fast vergessen, dass es sich um Themen handelt, über die wir nicht entscheiden können. Trotzdem erfüllen die Debatten einen gewissen Nutzen: Sie zeigen den anderen Parlamentsmitgliedern und vor allem dem Stadtrat, wo die einzelnen Parteien zum Thema stehen, wo sie Bedenken haben und wo sie Chancen sehen.
Doch Fabian Muster hatte tausend Zeichen bestellt. Da war kein Platz für ausführliche Erörterung. Wir starten also mit einem Absatz, indem wir zwei Prüfaufträge erwähnen, an deren Erstellung wir zwar nicht beteiligt waren, die uns jedoch gefallen haben und für die wir uns in der Debatte auch entsprechend eingesetzt haben. Beides Themen übrigens, denen der Stadtrat in seiner Stellungnahme zu Handen des Parlaments die Ablehnung empfohlen hatte. Das Parlament hat die beiden Aufträge trotzdem für erheblich erklärt. Es wird also spannend sein, zu sehen, ob die beiden positiven Parlamentsentscheide eine Haltungsänderung bei der Exekutive bewirken können.
Unseren Text für die Zeitung haben wir mit folgenden Worten begonnen:
Zeichen 1–201
Klar lieben wir es, im Parlament für Gratis-Badi-Eintritte oder vorfrankierte Abstimmungscouverts zu kämpfen. Dabei wissen wir sehr wohl: Diese Themen sind letztendlich in der Kompetenz des Stadtrates.
Wie das Parlament die Realisierung des neuen Ländiwegs ermöglichte
Wenn wir schon kritisch auf die Prüfaufträge eingehen, sollten wir auch sagen, wo wir die Stärke des Parlaments sehen: Als Legislative entscheidet das Parlament über Reglemente und das jährliche Budget. Zudem muss jeder einzelne Kredit über 600 000 Franken für einmalige Ausgaben und über 60 000 Franken für wiederkehrende Ausgaben vom Parlament bewilligt werden.
Das bedeutet konkret: Das Parlament kann dem Stadtrat den Auftrag erteilen, einen Antrag zu einem Thema vorzulegen, das in der Entscheidungskompetenz des Parlaments liegt. Wie das geht, lässt sich wunderbar an der Geschichte des neuen Ländiwegs aufzeigen – einem unserer Lieblingsthemen.
Im März 2018 hatte das Parlament einen überparteilichen Auftrag von Ruedi Moor für erheblich erklärt, der den Stadtrat (gegen seinen Willen) beauftragte, dem Parlament ein Projekt zur Aufwertung des Ländiwegs im Umfang von vier Millionen Franken vorzulegen.
Im Juni 2020 beantragte der Stadtrat dem Parlament den Kredit für die erste Etappe eines zweiphasigen Ländiweg-Sanierungsprojekts. In der ersten Etappe sollte das Erdreich der Böschung bis auf die Höhe der Mauer entlang des Ländiwegs abgetragen werden und auf der neuen Fläche ein provisorischer Aufenthaltsbereich installiert werden. Gemeinsam mit der Neugestaltung des Bahnhofplatzes 2025 sollte in der zweiten Etappe der grosse Wurf erfolgen – der Ländiweg, so wie er sich heute präsentiert. Die Aufteilung wurde damit begründet, dass so die Möglichkeit bestünde, allenfalls noch Subventionen aus dem Infrastrukturprogramm des Bundes zu erhalten, indem der Ländiweg als Velo-Route gestaltet würde.
Was auf den ersten Blick sinnvoll erschien, hatte mehrere grosse Nachteile. Erstens war nicht gesichert, dass der Bund die Subventionen sprechen würde, da der Ländiweg keine offensichtliche Velo-Route ist und der Platz auch nach einer Verbreiterung nicht besonders gross ist. Zweitens hätte ein Teil der Bauten der ersten Etappe bei der Umsetzung der zweiten Etappe wieder abgebrochen werden müssen, was einer Vernichtung der Investitionen gleichkam. Drittens war der Zeitplan nicht gesichert, da es beim Projekt «Neuer Bahnhofplatz» schon mehrfach zu Verzögerungen gekommen war. Und viertens waren (sind) bis 2030 viele grosse Investitionen geplant. Ob es noch Geld für die zweite Etappe gegeben hätte, war mehr als zweifelhaft.
Die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Parlaments kam im Vorfeld der Parlamentssitzung zum Schluss, dass es sinnvoll wäre, direkt die zweite Etappe des Projektes umzusetzen und stellte einen entsprechenden Antrag. Wir haben damals die Angelegenheit in einer ausführlichen Story dokumentiert.
Eine knappe Parlamentsmehrheit stimmte dem Antrag der GPK zu, änderte den Beschlussantrag des Stadtrates ab und bewilligte gleich den Kredit für die Umsetzung der zweiten Etappe des Projektes. In den Unterlagen des Stadtrates waren nämlich schon die Kosten für beide Projektphasen aufgeführt.
Fürs OT haben wir uns wieder kurz gehalten:
Zeichen 202–446
Nachhaltiger ist es, wenn wir uns für gescheite Gesetze und Reglemente einsetzen oder Grossprojekte wie den neuen Ländiweg unterstützen. Mit dessen Eröffnung wurde ein Traum Wirklichkeit, für den wir uns seit unserer Gründung starkgemacht haben.
Wie sich die sbo ans Gasgeschäft klammert(e)
Neben dem grossen Bauvorhaben wollten wir auch noch einen wichtigen legislativen Entscheid in Sachen Klimawandel in unsere Bilanz aufnehmen. Eine Vorlage, die zweimal zu scheitern drohte und nun beim dritten Anlauf in einem akzeptablen Kompromiss mündete.
2019 – Der Auftrag
Im Frühjahr 2019 hat das Parlament einen Auftrag von Felix Wettstein für erheblich erklärt, mit dem der Stadtrat verpflichtet wurde, einen Artikel zur Nachhaltigkeit in die Statuten der sbo zu integrieren und diese dem Parlament zum Beschluss vorzulegen.
2021 – Bericht und Antrag #1 – Placebo Variante
Nach etwas mehr als zwei Jahren legte der Stadtrat im Juni 2020 einen Antrag zur Statutenänderung vor. Darin wurden die sbo jedoch lediglich verpflichtet, ihre Kundschaft in Sachen nachhaltiger Energie zu beraten. Die Tatsache, dass das von der sbo in Olten verkaufte Gas massgeblich zur Beschleunigung des Klimawandels beiträgt, wurde nicht angesprochen. Olten jetzt! erstellte daher eine griffigere Formulierung und wollte diese in die Parlamentsdebatte einbringen.
Die Diskussionen in der Geschäftsprüfungskommission zeigten, dass die Chancen einer Annahme unseres Gegenvorschlags nicht schlecht standen. Die Aussicht auf eine Annahme hatte aber offensichtlich derartige Sprengkraft, dass der Stadtrat das Geschäft während der Parlamentssitzung, im letzten Moment sozusagen, wieder zurückzog und in der Schublade verschwinden liess.
2022 – Bericht und Antrag #2 – Placebo Plus Variante
Nach einer kleinen Anfrage von Manuela Höfler erschien die Statutenänderung im Frühjahr 2022 erneut auf der Traktandenliste des Parlaments. Der Stadtrat hatte es jedoch in dem einen Jahr nur gerade geschafft, die Formulierung um die Worte «mit dem Ziel der CO₂-Neutralität» zu ergänzen. Im Wortlaut ging es immer noch lediglich darum, dass die sbo ihre Kunden beratend unterstützt. Jetzt einfach mit dem Ziel, dass die Kunden CO₂-neutral werden sollen. Nichts zum Gasgeschäft der sbo.
Also haben wir unseren alternativen Text-Vorschlag in einer aufgefrischten Version erneut vorgelegt. Zu unserer grossen Freude änderte der Stadtrat am Montag vor der Parlamentssitzung seinen Antrag und übernahm unseren Text-Vorschlag fast vollständig. Vermutlich eine Folge davon, dass sich mit der Wahl von Raphael Schär und Nils Loeffel die Machtverhältnisse in der Regierung ziemlich verändert hatten. Doch die Freude währte nicht lange. Denn da diese Änderung des Antrags nur vier Tage vor der Parlamentssitzung erfolgte, kam eine selten genutzte Regel in der Geschäftsordnung des Parlaments zum Tragen: Wenn Anträge nicht mindestens zehn Tage vor der Sitzung gestellt werden, reichen die Stimmen von zehn Parlamentsmitgliedern, um das Traktandum zu vertagen.
Die zehn Mitglieder waren bei SVP und FDP schnell gefunden und schon verschwand das Geschäft wieder in der Schublade.
2023 – Bericht und Antrag #3 – Ein gangbarer Kompromiss
Im Januar 2023 erschien das Traktandum erneut und endlich in einer Form, die der Bedeutung des Themas Rechnung trug. Nicht ganz so griffig wie unser Vorschlag, aber doch akzeptabel. Mit dem Satz: «Dabei streben sie [die sbo] so schnell wie technisch möglich und wirtschaftlich tragbar den Ausstieg aus fossilen Energieträgern an.» damit konnten sich sogar einige FDP Mitglieder anfreunden. Die neuen Statuten wurden mit 23:10 bei 3 Enthaltungen genehmigt.
Ein schönes Beispiel, das zeigt, wie langwierig der Weg einer scheinbar simplen Vorlage von der Erheblicherklärung des Auftrages (2019) bis zur Umsetzung (2023) sein kann.
Fürs OT mussten wir das Ganze etwas verkürzt darstellen:
Zeichen 447–678
Ein legislativer Meilenstein, zu dessen Erreichung wir massgeblich beigetragen haben, sind die überarbeiteten Statuten der sbo. Damit hat das Parlament die stadteigene Energieversorgerin klar auf eine CO₂-freie Zukunft ausgerichtet.
Wie wir ohne viel Aufhebens unsere Aufträge durchbringen
Im Oltner Gemeindeparlament hat keine Partei und keine Fraktion eine Mehrheit, mit der sie Entscheide einfach «durchdrücken» könnte. Wenn man also einigermassen sicher sein will, dass ein Vorstoss durchkommt, sollte man diesen so verfassen, dass auch die Interessen anderer Parteien berücksichtigt werden.
Wichtig ist unserer Meinung nach, dass die anderen Fraktionen nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, sondern dass sie schon bei der Formulierung des Auftrages miteinbezogen werden. So konnte beim Prüfantrag zur Verkehrsbefreiung des Klosterplatzes ein Teil der Bürgerlichen zur Zustimmung motiviert werden, da im Auftragstext auch gleich ein Ersatz der verloren gehenden Parkplätze gefordert wurde.
Die Wirkung dieses kollaborativen Vorgehens ist für Olten jetzt! sehr positiv. Unsere Aufträge finden in der Regel eine Mehrheit im Parlament. Was die Publicity betrifft, ist das Ganze natürlich nicht so ideal – Wir können so den Erfolg jeweils nicht für uns alleine beanspruchen. Diesen Preis zahlen wir jedoch gerne, denn am Ende des Tages geht es uns darum, das Beste für die Stadt Olten zu erreichen. Kurz zusammengefasst tönt das so:
Zeichen 679–905
Was uns jedoch am meisten freut: Fast alle Aufträge von Olten jetzt! wurden im Parlament für erheblich erklärt. Das liegt bestimmt auch daran, dass wir sie, wenn immer möglich, gemeinsam mit anderen Fraktionen erarbeitet haben.
Schon fast sind die tausend Zeichen verbraucht, also noch einen kurzen Schlusssatz um zu zeigen, dass wir alle motiviert sind, uns auch in den nächsten zwei Jahren im Parlament für Olten einzusetzen.
Zeichen 906–975
Die Stadtpolitik macht Spass – wir freuen uns auf die zweite Halbzeit!
Danke fürs Fertiglesen! Bis bald in der Stadtpolitik!